Kleinstadt-Hippies – Lesung mit Titus Simon
Pressebericht

Rundschaubericht Titus Simon vom Donnersag, 08.03.2018.

Bericht & Foto: RAINER KOLLMER

Illusionen platzen wie Seifenblasen

Titus Simon ist wiederholt im „Häberlen“ zu Gast. Nach und nach hat er auf Einladung der Buchhandlung Schagemann und der Stadtbibliothek Gaildorf seine Roman-Trilogie vorgestellt.

Der literarische Ruf des Erzählers pendelt seit Jahren zwischen spannenden Kriminalromanen und großen historischen Gemälden. Bei regionalen Kulturveranstaltungen im württembergisch-fränkischen Mischgebiet ist er ein gern geladener Stammgast. Seine sonore Bassstimme mit der flüssigen Ausdrucksweise und ausladenden Phrasierungen nimmt die Zuhörer gefangen. Selbst wenn der baumlange Mann neben der grünen Tischlampe gebeugt über seinem Manuskript sitzt, wirkt er als Persönlichkeit immer noch raumfüllend.

Die Jahre nach 1945

Der promovierte Autor wird jetzt 64 Jahre alt. Er hat den Text von „Kleinstadt-Hippies“ zum Vorlesen extra in größerer Schrift ausgedruckt. Die schmale Lesebrille besorgt den Rest. Sein prüfender Blick über den Rand der Augengläser beweist umsichtige Beobachtungsgabe. Besonders die Jahre nach 1945 hat er im Auge. Angesichts des stattlichen Papierstapels liest er zwar nicht mehr aus einem gebundenen Buch. Er versichert jedoch, dass auf den losen Blättern nichts verändert ist. Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind vorbei. Sie können nicht mehr korrigiert werden. Für rosarote Ausschmückung nach Art mancher Historiker ist der gelernte Jurist, Sozialarbeiter und Pädagoge nicht zu haben. Vielleicht erinnert sein Vorlesen deshalb auch eher an einen sachlichen Radiokommentar.

Dialog mit dem Publikum

Wiederholt weist er darauf hin, dass in den drei Romanen alles nur erdacht sei. Der Ort Seelbach, zwölf Kilometer von Schwäbisch Hall entfernt, sei ebenso erfunden wie die vielen Figuren und Ereignisse, die es auch im letzten Buch „Kleinstadt-Hippies“ gibt. Sparsames Kommentieren und ein empathischer Dialog mit dem Publikum sind dem Autor wichtig. Die Nahtstellen zwischen den ausgewählten Textauszügen verbindet er geschickt mit Verweisen auf die vorangegangenen Bücher „Hundsgeschrei“ und „Kirmeskind“. Beim aktuellen Buchtitel „Hippies“ erwähnt er wie beiläufig die Murrhardter Idiomatik von den „langhaarigen Stromern“ der 70er-Jahre. Kopfnicken und Schmunzeln der Besucher sind ein Zeichen dafür, dass die Leute verstehen. Sie haben sich in seine Lesung heimelig eingegraben.

Aber die behagliche Ruhe ist trügerisch. Wo sich anfangs noch 16-Jährige weitgehend angepasst am Marktplatz treffen, beschweren sich etliche Jahre später die Mitglieder der Wohngemeinschaft über eine spießige Gartengestaltung, während ein Joint die Runde macht. Hauptsache, die „Vibrations“ stimmen. Doch die heimatlichen Illusionen platzen im Laufe der Zeit wie Seifenblasen. Die Nächte in Israel mit dem bettlägerigen Juden David Rosenzweig rücken das Lebensbild von Aaron endgültig zurecht. Ein Besuch der KZ-Gedenkstätte in Riga lässt alte Wunden aufbrechen. So geht es mit fast allen Figuren in der Trilogie: Sie schlingern an sozialen und politischen Sandbänken vorbei und bemerken erst spät, dass ihr stolzes Schiff endgültig auf Grund zu laufen droht. Titus Simon hält immer wieder inne. Liederpoet Erik Beisswenger kommentiert dann den sachlichen Grundton der Texte mit eindringlichen Melodien und subtiler Gitarrenbegleitung, die den Atem stocken lässt. Sprache und Musik legen weitere Eindrücke nahe.

Klangvoller Poesierahmen

Bei den Klängen von „Le déserteur“ von Boris Vian oder dem selbst vertonten „Roter Mohn“ von Otto Bierbaum gibt Beisswenger den Prosabildern der Romanausschnitte einen unverzichtbaren, klangvollen Poesierahmen. Seine Beiträge dienen jedoch nicht zur Auflockerung. Sie illustrieren und verlangen nach einer Lupe. Mit schmaler Stimme und raunender Gitarre wird von Beisswenger beim Ringelnatz-Gedicht „Ich habe an deiner Brüste Altar die Nacht bei dir durchsonnen“ die Spannung zwischen weltfremden Visionen und banaler Lebenswirklichkeit auf die Spitze getrieben.

Einen vierten Roman wird es wohl nicht geben. Titus Simon vermisst schon jetzt den kreativen Gestaltungsprozess seiner regionalen Nachkriegs-Trilogie. Die Arbeit am Webstuhl für das üppige Beziehungsgeflecht war für ihn wohl Herausforderung und Auftrag zugleich. Immerhin hat er mit den drei Romanen über die Jugendschicksale nach 1945 einen wichtigen belletristischen Bedarf abgedeckt.

Text zum Foto:

Titus Simon (rechts) und Erik Beisswenger gestalten in der Kulturkneipe „Häberlen“ in Gaildorf einen bemerkenswerten Abschluss der „Seelbach-Trilogie“. Der Liedermacher gibt den Prosabildern der Romanausschnitte einen klangvollen Poesierahmen.

Kleinstadt-Hippies – Lesung mit Titus Simon
Donnerstag, 01.03.2018, 20:00 Uhr
Kulturkneipe Häberlen Gaildorf
Mitglieder 7 €, Nichtmitglieder 7 €

Musik: Erik Beisswenger

Im dritten und letzten Band seiner Familiensaga taucht Titus Simon in die jüngere Vergangenheit ein. Ausgangspunkt sind die Siebzigerjahre, die Zeit der Revolte, der großen und kleinen Fluchten. Eine Clique Jugendlicher in einer hohenlohischen Kleinstadt steht im Mittelpunkt seines Romans. Die Ausbruchsversuche der zentralen Figuren stoßen in der Provinz häufig auf harte, manchmal sogar unüberwindbare Widerstände. Eine Zeitlang teilen sie das Gefühl, es sei an der Zeit, die Welt aus den Angeln zu heben.

Doch: Träume zerplatzen, Wege führen auseinander. Jahrzehnte später fragen sie sich, was von ihren Wünschen und Hoffnungen geblieben ist.

In Zusammenarbeit von Stadtbücherei, Kulturschmiede + Buchhandlung Schagemann

Ort: Kulturkneipe Häberlen Gaildorf
Karlstr. 66, 74405 Gaildorf
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